Literatur zur Nacht mit Husch Josten: Bücher als Zeitdiagnosen
Vor rund 150 Personen und im Rahmen der Reihe „Literatur zur Nacht“ hat die Kölner Journalistin und Autorin Husch Josten im Dom aus ihrem Roman „Land sehen“ vorgelesen. Veranstalter war die Europäische Stiftung Aachener Dom (ESAD). Beiratsvorsitzender Dr. Jürgen Linden begrüßte die anwesenden Gäste und erläuterte die Zielsetzung der Stiftung: Die Förderung des Europagedankens im Geiste der christlich geprägten europäischen Kultur in Kunst, Literatur, Musik und Wissenschaft. Dass man Husch Jostens Bücher als Zeitdiagnosen verstehen kann, die sich kritisch mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen auseinandersetzen, attestierte Prof. Dr. Thomas Sternberg, der zu Beginn der Lesung die charakteristischen Besonderheiten in den Arbeiten der Autorin herausarbeitete und inhaltlich in den Roman einführte.
Doch worum geht es nun genau in „Land sehen“? Im Fokus des Romans steht die Begegnung zweier Menschen: Literaturprofessor Horand Roth trifft nach vielen Jahren seinen Onkel Georg wieder. Der frühere „Lebemann“ ist überraschenderweise Mönch geworden, noch dazu in einem umstrittenen konservativen Orden. Einnehmend leicht und in überraschenden Wendungen erzählt Husch Josten die Auseinandersetzung zweier Menschen, die in Glaubensfragen an entgegengesetzten Polen stehen, den anderen jedoch lieben und verstehen möchten.
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INTERVIEW
Der Europäischen Stiftung Aachener Dom stand Husch Josten für ein Interview zur Verfügung.
Frau Josten, Sie sind einerseits Journalistin, andererseits Romanautorin. Dementsprechend verbinden Sie in Ihren Büchern gerne Fakten und Fiktion. Inwiefern trifft das auf Ihren Roman „Land sehen“ zu?
Josten: Es liegt mir tatsächlich immer daran, unsere Zeit festzuhalten — die Dinge, die wir sehen und die, die wir lieber nicht sehen. Und zwar genau in der Zeit, in der uns diese Gedanken, Sorgen, Ängste, Geschehnisse widerfahren und umgeben, weil sich auf diese Weise ein Bild ergibt, das nichts vom Ergebnis her, sondern alles aus der Situation heraus betrachtet. Die Gegenwart ist für mich ein höchst interessanter Blickwinkel. Das trifft auch auf „Land sehen“ zu. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben treibt Menschen überall auf der Welt um und wird vermutlich nie an ein Ende kommen. Derzeit verabschieden sich beispielsweise viele Christen von ihrer Religion und deren Institutionen, weil sie sich darin nicht mehr wiederfinden, dort nicht gehört werden oder weil sie, meines Erachtens übrigens völlig zu Recht, über die Maßen empört sind über das Gebaren vieler Kirchenvertreter. Andere denken nicht mehr darüber nach, woran sie eigentlich glauben. Wieder andere finden spirituelle Erfüllung in weltlichen Angeboten, anderen Religionen oder aber in autoritären religiösen Gemeinschaften, deren Seelenführer für sich beanspruchen, das eine, richtige Gottesbild zu kennen und den Weg der einen Wahrheit weisen zu können. Glaube und Religion sind also hochaktuell und zugleich eine ewige Frage: Woran glaubst Du? Nichts kann man ja bekanntlich nicht glauben.
In “Land sehen” beschäftigen Sie sich intensiv mit der Religion und machen das Ringen mit dem Glauben zu einem zentralen Thema. Wie kam es dazu? Hatten Sie keine Angst, dass das wenig verkaufsfördernde Themen sind?
Josten: Ich wusste, dass es ein höchst unpopuläres Thema ist, aber die Geschichte war in meinem Kopf, beschäftigte mich, ich musste sie angehen. Von der großen Resonanz, die dann kam, war niemand überraschter als ich. Bei Erscheinen des Buchs hatte ich Sorge, missverstanden zu werden, denn wer sich mit dem Glauben und insbesondere mit der Kirche beschäftigt, macht sich ja erst einmal verdächtig: Hat die Autorin etwa eine Botschaft? Eine geheime Mission? Oder: Wie ewiggestrig ist die denn, sich mit so einem Thema zu beschäftigen? Meine Sorge hat sich glücklicherweise als unbegründet erwiesen. Leserschaft und Kritik haben in „Land sehen“ das hineingelesen, was ich hatte erzählen wollen: Die Geschichte zweier Menschen, die in Glaubensfragen an entgegengesetzten Polen stehen, den anderen aber lieben und daher hören und verstehen möchten; eine Geschichte über Freiheit.
Was hat das Schreiben dieses Buches mit Ihnen gemacht: Haben Sie innerlich dieselben Kämpfe ausgefochten wie Ihre Romanfiguren oder können Sie mit Distanz über deren philosophische und theologische Auseinandersetzungen schreiben?
Josten: Die Geschichte war sehr herausfordernd, weil ich meinen eigenen Glauben dabei selbst noch einmal auf den Prüfstand gestellt habe, nur so war die größtmögliche Distanz zum Thema und die Darstellung grundverschiedener Perspektiven möglich. Aber ich hatte großartige Hilfe von Theologen, Philosophen, Mönchen, Priestern, Kirchenkritikern und Glaubensgegnern. Es gab viele intensive Diskussionen, Schriftwechsel… Dafür bin ich sehr dankbar.
Sind die Resonanzen Ihrer Leserschaft zu diesem Buch anders ausgefallen als zu Ihren früheren Werken?
Josten: Ich war mit „Land sehen“ länger auf Lesereise als mit jedem anderen Roman, die Anfragen hörten einfach nicht auf. Jeder einzelne Abend war spannend, weil die Zuhörerinnen und Zuhörer, Leserinnen und Leser sehr engagiert dabei waren. Immer gab es am Ende lange Gespräche. Ich habe etliche Briefe erhalten von Menschen, die mit ihrem Glauben ringen; von anderen, die annahmen, das Thema für sich längst abgeschlossen zu haben und nun wieder neu darüber nachdenken wollten; von wieder anderen, die wütend waren, weil sie sehr konservativen Kirchenkreisen angehören und mit meinem unorthodoxen Mönch überhaupt nicht einverstanden waren… Was ich vor allem in der Reaktion der Leserschaft gesehen habe: Das Sujet lässt kaum jemanden kalt — irgendwann stellt sich jeder die Frage, woran er oder sie eigentlich glaubt.
Ihr Roman spielt in einem Kloster, das tatsächlich existiert und im Bistum Aachen liegt: das Kloster Reichenstein in der Eifel. Wieso haben Sie ausgerechnet diesen Ort ausgewählt?
Welche Erfahrungen haben Sie mit der dort lebenden, katholisch nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft gemacht?
Josten: Ich hatte Kloster Reichenstein als recht einsam gelegene Ruine in der Eifel in Erinnerung, wo ich in Kindertagen oft war. Ich mag die Eifel sehr. In meiner Vorstellung war es der perfekte Ort für den fiktiven Orden, den ich dort ansiedeln wollte. Als ich Reichenstein im Rahmen der Recherche noch einmal besuchte, stellte ich fest, dass es sich im Umbau befand — für den Orden Notre-Dame de Bellaigue, der den Piusbrüdern nahesteht. Ich habe noch vor dem Kloster stehend meine Verlegerin angerufen, weil ich das kaum glauben konnte. Gemeinsam haben wir dann beschlossen, statt meines fiktiven Ordens den zu benennen, der dort wirklich einziehen wollte und inzwischen auch eingezogen ist. Denn das tue ich, wie gesagt, gern: Die Zeit festhalten, wie sie ist. Meine Erfahrung mit der Ordensgemeinschaft ist keine positive — ich habe die Mönche als abweisend, verschlossen, rigide erlebt; die Nachbarn des Klosters hingegen, die in der Nähe von Reichenstein leben, als umso aufgeschlossener und humorvoller im Umgang mit „den Jecken“, wie einer sagte.
Freuen Sie sich auf die Lesung im Aachener Dom?
Josten: Ich freue mich sehr auf diese Lesung. Ein bisschen schwierig wird sie für mich allerdings auch: Meine Eltern, beide schwerst krank, sind Aachener, mein verstorbener Onkel Herbert Woopen war Aachener… Der Dom war für alle drei ein ganz besonderer Ort, den sie meinen Geschwistern und mir seit frühester Kindheit nahegebracht haben. Für mich sind also auch viele Erinnerungen mit dem wunderschönen Aachener Dom verbunden und es ist schade, dass keiner der drei an diesem Abend dabei sein kann. Aber natürlich wird der andere Teil der Aachener Familie dabei sein, und darüber freue ich mich sehr.